Was Hundetraining über mentale Stärke verrät

Foto von Simone Pohlmann - Atelier Pfleiderer

In unserem Interview mit Julia Fuhrmann, einer Hundetrainerin mit langjähriger Berufserfahrung, erkunden wir die tiefgreifenden Zusammenhänge zwischen der Arbeit mit Hunden und menschlichen Emotionen und Verhaltensweisen. Ihre einzigartige Perspektive eröffnet nicht nur Einblicke in die Welt des Hundetrainings, sondern beleuchtet auch die tieferen menschlichen Themen, die dabei eine Rolle spielen. Das Interview gibt Aufschluss darüber, was wir von Hunden und dem Hundetraining für unsere eigene mentale Stärke lernen können und wie wir diese Erkenntnisse positiv nutzen können.

Schon seit ihrer Kindheit wusste Julia, dass sie mit Hunden arbeiten wollte, jedoch führten gesellschaftliche Erwartungen dazu, dass sie einen “richtigen Beruf” ausübte, zuletzt im Bereich Eventmanagement. Nach einem Jahrzehnt in der Veranstaltungsbranche fühlte sie sich jedoch ausgebrannt und folgte schließlich endlich ihrer Leidenschaft. 

Der Hund als Spiegel des Menschen

Was gefällt dir besonders am Hundetraining, im Vergleich zu deinen bisherigen Jobs im Eventbereich?

Julia: Ich schätze besonders die Ehrlichkeit im Hundetraining. Die Eventbranche ist eher oberflächlich. Man führt viele oberflächliche Gespräche, ohne wirklich in die Tiefe zu gehen. Im Hundetraining dagegen tauchen wir auch tiefer ein, denn viele Probleme, die wir bei Hunden sehen, sind eigentlich menschliche Themen.

Verstehe, du meinst also, dass im Hundetraining oft auch die Themen der Hundebesitzer:innen eine Rolle spielen?

Julia: Genau! Ein Beispiel: Ein Hundebesitzer sagt mir, sein Hund reagiert aggressiv auf Fremde. Wenn ich dann genauer hinsehe, erkenne ich, dass es eher ein Problem des Menschen ist, der sich unsicher fühlt, wenn Fremde auf ihn zukommen. Hier geht es weniger um den Hund selbst, sondern mehr um die Gefühle des Menschen, der die Leine hält.

Glaubst du, dass Hunde tatsächlich unsere Emotionen so gut lesen können?

Julia: Ja, definitiv. Hunde sind Experten darin, unsere Stimmungen zu erkennen. Hunde haben den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als ihre Menschen zu beobachten, sie schauen kein Fernsehen und lesen keine Bücher. Hunde beobachten uns und können subtile Signale viel besser lesen als wir.


Demnach können Hunde als eine Art Spiegel dienen, der uns dabei hilft, uns selbst besser zu verstehen.
Julia erwähnt auch, dass Hunde möglicherweise zeigen können, was wir nicht erkennen können. Somit ist es möglich, dass Menschen durch die Beobachtung des Verhaltens ihrer Hunde mehr über sich lernen. Wenn der Hund zum Beispiel ängstlich oder abwehrend auf Fremde reagiert, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass auch Frauchen oder Herrchen Unbehagen oder Misstrauen gegenüber anderen Menschen empfinden, auch wenn ihnen dies vielleicht nicht bewusst ist.

Auch Studien zeigen, dass Hunde in der Lage sind, menschliche Emotionen über Gesichtsausdrücke, Körpersprache, Stimme und sogar Geruch wahrzunehmen. Sie können die sechs Basisemotionen Wut, Angst, Freude, Traurigkeit, Überraschung und Ekel erkennen und darauf reagieren. 

Psychologische Vorteile für Hundebesitzer:innen

Wie Julia im Interview beschrieben hat, können Hundebesitzer:innen ihren emotionalen Zustand, zum Beispiel Stress oder Angst, schnell auf den Hund übertragen. Umgekehrt können Hunde durch ihre beruhigende Präsenz auch positiv auf die Emotionen des Menschen einwirken. Die Beziehung zum Hund hat viele psychologische Vorteile für den Menschen: 

  • Hunde bieten bedingungslose Zuneigung und emotionale Unterstützung. Das kann Einsamkeit und Depressionen lindern. 

  • Die Interaktion mit dem Hund fördert die Ausschüttung von Oxytocin, was Stress reduziert und das Wohlbefinden steigert. 

  • Hundehalter:innen sind oft achtsamer, selbstbewusster und fühlen sich weniger gestresst. Die Verantwortung für den Hund gibt Struktur und Motivation. 

  • Spaziergänge mit dem Hund bringen Menschen nach draußen in die Natur und fördern soziale Kontakte. Beides wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit aus. 

„[…] wenn man seinen Hund als Coach akzeptiert – was nicht jeder schafft – dann kann er einem viel beibringen und zur Selbstreflexion und zur Selbstentwicklung anregen. Ich finde, ein Hund ist sehr gut geeignet als Coach.“

Hunde und menschliche Konzentration

Ein weiterer spannender Aspekt ist die Fähigkeit von Hunden, sich auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren. Menschen können davon profitieren, insbesondere im Kontext des Trainings. Julia erklärt, dass die Fähigkeit, im Moment präsent zu sein dazu führt, dass Hunde besser auf sie reagieren und sich ebenfalls konzentrieren können. Sie betont, dass das Training mit einem Hund eine Möglichkeit für Erwachsene sein kann, ihre Konzentrationsfähigkeit zu verbessern. Erwachsene haben im Vergleich zu Kindern oft Schwierigkeiten, sich zu fokussieren, was sich negativ auf das Training mit dem Hund auswirken kann.

„[…] weil Kinder und Jugendliche im Moment der Aufgabe präsent sind. Sie hören, was gesagt wird, und handeln, ohne sich Gedanken über zukünftige Aufgaben, vergangene Erlebnisse oder Termine zu machen. Sie sind voll und ganz bei ihrem Hund und der Aufgabe. Plötzlich klappt es. Oft läuft es bei Erwachsenen nicht so gut, weil sie von vielen Gedanken abgelenkt sind, wie beispielsweise die Wäsche, den Einkauf, was der Chef gesagt hat und was heute alles noch ansteht.

Auch Studien zeigen, dass die Interaktion mit Hunden für Erwachsene positive Effekte auf die Konzentration haben kann. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass allein das Streicheln eines Hundes zu einer Verringerung des Stresshormons Cortisol und einer Zunahme der Alphawellen im Gehirn führt, die mit einem Zustand entspannter Wachheit assoziiert sind (Beetz et al., 2012). Entscheidend für die positiven Effekte auf die Konzentration scheint die bewusste, achtsame Zuwendung zum Hund zu sein. Ist der Mensch mit seinen Gedanken ganz bei der Interaktion, profitieren beide Seiten davon. Studien zu Achtsamkeit oder auch Mindfulness bestätigen, dass die bewusste Fokussierung auf den gegenwärtigen Moment, ohne sich von Gedanken ablenken zu lassen, die Konzentrationsfähigkeit stärkt (Chiesa et al., 2011).

Motivation, Belohnung und menschlicher Flow

Im Interview verdeutlicht Julia, dass die Motivation des Hundes im Training entscheidend von der Motivation und Einstellung des Menschen abhängt. Hunde sind von Natur aus motiviert, solange die Rahmenbedingungen stimmen, die Belohnung attraktiv ist, der Schwierigkeitsgrad der Aufgabe angemessen und die Umgebung nicht zu ablenkend ist. Hat der Mensch selbst Freude an der Aktivität, überträgt sich das auf den Hund. 

Hier lassen sich interessante Parallelen zum Konzept des Flow-Zustands beim Menschen ziehen. Flow bezeichnet einen Zustand völliger Vertiefung, hoher Konzentration und Leistungsfähigkeit, der sich einstellt, wenn die Anforderungen einer Tätigkeit optimal mit den eigenen Fähigkeiten übereinstimmen. Auch für das Erreichen des Flows sind intrinsische Motivation, eine positive Grundhaltung und das richtige Maß an Herausforderung entscheidend. 

Ein weiterer spannender Aspekt ist das Premack-Prinzip, nach dem eine beliebte Aktivität als Belohnung für eine weniger beliebte Aktivität eingesetzt werden kann. Beim Hund kann praktisch alles als Belohnung dienen, was er in dem Moment gerne tun möchte - sei es Futter, Spiel, Zuwendung oder mehr Distanz zu etwas Unangenehmen. Der Mensch muss nur herausfinden, was für den Hund gerade den höchsten Wert hat. 

Auch Menschen belohnen sich oft für erledigte Aufgaben, allerdings meist zeitlich verzögert und nicht immer bewusst. Dabei neigen wir dazu, kurzfristig angenehmen Aktivitäten den Vorzug zu geben, auch wenn sie langfristig vielleicht nicht förderlich sind. Hunde leben stärker im Moment und folgen ihren natürlichen Impulsen. Von ihnen können wir lernen, uns stärker auf den gegenwärtigen Augenblick einzulassen, ohne uns von Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft ablenken zu lassen. Eine achtsame, prozessorientierte Haltung ist sowohl für das Erreichen des Flow-Zustands als auch für die Entwicklung mentaler Stärke von großer Bedeutung. Zudem können wir so lernen, uns selbst für Fortschritte und Erfolge zeitnah zu belohnen, anstatt die Belohnung immer weiter in die Zukunft zu verschieben. Dabei ist es wichtig, Belohnungen zu wählen, die uns wirklich ansprechen und motivieren. So wie ein Hund individuell unterschiedlich auf Belohnungen reagiert, muss auch jeder Mensch für sich herausfinden, was sie oder ihn antreibt. Nicht zuletzt verdeutlicht das Hundetraining, wie wichtig Fokus und Konzentration für das Erreichen von Zielen sind. Ablenkungen und Misserfolge können schnell zur Demotivation führen. Dran zu bleiben, auch wenn es schwierig wird, und sich immer wieder neu auszurichten und positiv zu stimulieren, ist eine Kernkompetenz mentaler Stärke. 

5 Dinge, die wir von Hunden lernen können

Was sind vier Dinge, die wir bezüglich unserer Lebensführung von Hunden lernen können?

  1. Im Hier und Jetzt leben
    „Hunde denken ja nie an morgen oder gestern. Sie sind im Hier und Jetzt und das glaube ich, ist das Wichtigste, was wir lernen können.“

  2. Ehrlich sein
    „Die meiste Zeit sind Hunde einfach ehrlich. In Situationen in denen sie etwas blöd finden und genauso, wenn sie etwas cool finden.“

  3. Verbindlichkeit
    “Wenn ein Hund droht und man reagiert nicht darauf, dann kann er durchaus verbindlich sein. Das sind Hunde meistens und sie wollen auch ihr Ziel durchsetzen oder verfolgen.“

  4. Zielstrebigkeit oder Entscheidungsfreude
    „Ein Hund, denkt jetzt nicht so lange nach: Möchte ich jetzt dem Hasen hinterher oder nicht? Der ist dann weg. Bevor ich entschieden habe, was ich jetzt dagegen tue, ist der Hund schon längst weg.“

  5. Selfcare
    „Ich würde sagen, Hunde sind Opportunisten. Also, sie tun viel von dem, was sie tun, nur für sich selbst. Wenn ein Hund entscheidet, dass ihm etwas besonders wichtig ist, dann setzt er alles daran, sein Ziel zu erreichen. Wenn man unter Selfcare versteht, dass er seinem Bedürfnis ohne viel Nachdenken nachgeht, dann würde ich sagen, dass Hunde sehr viel Selbstfürsorge betreiben.“

Parallelen im Verhalten von Mensch und Hund

Menschen zeigen oft Parallelen zwischen ihrem eigenen Verhalten und dem Umgang mit ihren Hunden, so berichtet Julia im Interview. Ein Beispiel dafür ist die Konsequenz beim Essverhalten und der Gewichtskontrolle. Häufig haben übergewichtige Menschen auch übergewichtige Hunde, weil sie weder bei sich selbst noch beim Hund konsequent auf eine ausgewogene Ernährung achten. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass Menschen ihren Hunden - ähnlich wie sich selbst - etwas "gönnen" oder sie "belohnen" wollen, indem sie ihnen viel Futter geben. Dahinter steht oft der Wunsch, die Zuneigung des Hundes zu gewinnen oder zu verstärken. Julia merkt jedoch an, dass dieses Verhalten auf einer Fehlinterpretation der Hundekommunikation beruht. Nur weil ein Hund auf jemanden zukommt, heißt das nicht unbedingt, dass er diese Person besonders mag. Hunde suchen oft die Nähe von Menschen, die sie füttern, ohne dass dies etwas über die emotionale Bindung aussagt. 

Menschen tendieren dazu, ihre eigenen Verhaltensmuster und Motive auf ihre Hunde zu übertragen. Die Reflexion des eigenen Umgangs mit dem Hund kann daher auch Aufschluss über das Verhalten gegenüber sich selbst geben. 

Insgesamt bestätigt die Forschung, dass die Mensch-Hund-Beziehung stark durch die Persönlichkeit, Einstellungen und Verhaltensweisen des Halters geprägt wird. Die Reflexion des eigenen Verhaltens gegenüber dem Hund kann daher wertvolle Einsichten auch für andere Lebensbereiche liefern. 

Sind Tipps im Hundetraining auch immer Tipps für Menschen?

Hast du schon mal einen Hundetraining-Tipp gegeben, der überraschend gut auf menschliche Probleme oder Situationen angewendet werden konnte? 

Julia: Das macht man den ganzen Tag gefühlt. Also ich mache nichts anderes als Tipps zu geben, die man in anderen Bereichen auch super anwenden kann. So Sachen wie: Du musst lernen, mal nein zu sagen. Dich mal abgrenzen. Du musst auch mal eine gewisse emotionale Distanz zulassen. Mit zu viel Nähe bist du nicht mehr objektiv. Sei mal souverän und sicher in dem, was du tust und in deinem Auftreten. Sei authentisch, sei ehrlich mit deinem Hund, denn er glaubt dir nicht, wenn du “nein” sagst, aber “ja” meinst. Das sind alles Tipps, die du in ganz anderen Bereichen auch verwenden kannst.

Was wir von Hunden über Wertschätzung lernen können

Im Interview betont Julia die Bedeutung von Wertschätzung im Hundetraining. Es reicht nicht aus, dem Hund einfach nur mechanisch ein Leckerli zu geben, wenn er etwas richtig gemacht hat. Entscheidend ist die positive Emotion, die der Mensch dabei vermittelt. Nur wenn der Hund spürt, dass sein Verhalten wirklich geschätzt wird, freut er sich aufrichtig über die Belohnung. Studien mit Hirnstrommessungen bei Hunden haben gezeigt, dass sie sehr wohl unterscheiden können, ob ein Lob ehrlich gemeint ist oder nicht. Ein "vergiftetes Lob", bei dem die Worte nicht mit der Emotion übereinstimmen, nehmen Hunde nicht positiv auf. 

Dies lässt sich gut auf den Umgang von Menschen mit sich selbst übertragen. Auch wir sind oft nicht wertschätzend genug mit unseren eigenen Leistungen und Erfolgen. Anders als Kinder, die im besten Fall von ihren Eltern für Erreichtes gelobt werden, vergessen Erwachsene oft, stolz auf sich zu sein und sich selbst anzuerkennen. Genauso wie beim Hund macht beim Menschen die Wertschätzung den entscheidenden Unterschied, ob eine Belohnung oder ein Lob als positiv empfunden wird oder nicht. Deshalb ist es wichtig, das Prinzip der ehrlich gemeinten Wertschätzung aus dem Hundetraining auch auf den Umgang mit sich selbst zu übertragen. Die Kunst, die eigenen Erfolge bewusst wahrzunehmen und wertzuschätzen, ist ein wichtiger Baustein für die persönliche Weiterentwicklung und die psychische Gesundheit. Hierfür könnten zum Beispiel. ein Erfolgstagebuch, Selbstlob für erreichte Ziele oder bewusste Würdigungen des eigenen Fortschritts in den Alltag integriert werden.

Auch im Umgang mit anderen Menschen lässt sich dies gut anwenden: Ehrliches, selbst wertschätzendes Feedback als Schlüssel zur Stärkung des Selbstbewusstseins und der mentalen Widerstandskraft. Wie Hunde brauchen Menschen die Bestätigung, etwas richtig und gut gemacht zu haben. 

Julias Einblicke aus dem Hundetraining liefern zahlreiche inspirierende Impulse für alle, die an ihrer mentalen Stärke arbeiten möchten. Von der bewussten Anerkennung eigener Emotionen über das gezielte Erleben von Freude bis hin zur Fokussierung auf den Moment bieten ihre Erkenntnisse vielfältige Möglichkeiten, persönlich zu wachsen. Themen wie Ehrlichkeit und Wertschätzung ergänzen diesen Ansatz und zeigen, wie wir über uns hinauswachsen können.

Hier findest du weitere Infos über Stadthunde Minden, von Julia Fuhrmann.

Wir bei recreact unterstützen Organisationen dabei, die mentale Stärke ihrer Mitarbeitenden zu fördern, egal ob Hundebesitzer:in oder nicht 😉. Nutzen Sie unser Kontaktformular, vereinbaren Sie noch heute einen Termin für ein Erstgespräch und erfahren Sie mehr über unsere App, Workshops und Personal Training für Mitarbeitende.


Quellen

*Beetz, A., Uvnäs-Moberg, K., Julius, H., & Kotrschal, K. (2012). Psychosocial and psychophysiological effects of human-animal interactions: the possible role of oxytocin. Frontiers in psychology, 3, 234.
Chiesa, A., Calati, R., & Serretti, A. (2011). Does mindfulness training improve cognitive abilities? A systematic review of neuropsychological findings. Clinical psychology review, 31(3), 449-464.

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Gesundheitsmanagement im Betrieb Ein Interview mit Kristian Redlich

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Bescheidenheit ist eben doch keine Zier!